Feierstunde anlässlich des Volkstrauertages
Pohnsdorf, den 19. 11. 2023
Im Bild: Symbol für den Volkstrauertag:
Die Kreuze des Volksbund Deutsche Kriegsgräberführsorge e.V.
Der Volkstrauertag wurde als zentraler Gedenktag für die Opfer von Krieg und Gewalt eingeführt. Im ganzen Land finden an dem Tag Gedenkveranstaltungen statt. Er gibt Gelegenheit innezuhalten und sich erneut bewusst zu machen, dass Friede keine Selbstverständlichkeit ist – das führen die Ereignisse im Nahen Osten und der Krieg in der Ukraine eindrucksvoll vor Augen. Auch in unserer Gemeinde wurde dieser Tag mit einer Gedenkstunde begangen.
An der Gedenkstunde hatauch der ehemalige stellvertretende Sprecher des Bundesministeriums der Verteidigung und Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein Oberst a.D. Hannes Wendroth teilgenommen. Er hat sich im Jahr 2018 mit Unterstützung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. auf die Suche nach dem Grab des Bruders seiner Mutter gemacht. Am Ende der Bemühungen konnte die fast 90 Jahre alte Dame auf dem Soldatenfriedhof in Bourdon/Frankreich ein offenes Kapitel ihres Lebens schließen. In einem sehr persönlich gehaltenen Vortrag hat uns Hannes Wendroth davon berichtet.
Neben den Ausführungen von Oberst a.D. Hannes Wendroth gab es noch Ansprachen von Bürgermeister Marco Lüth und Pastorin Yasmin Glatthor.
Hier der Text der Ansprache von Bürgermeister Marco Lüth:
Am diesjährigen Volkstrauertag versammeln wir uns hier, um gemeinsam der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken. Dazu begrüße ich Sie und euch, ich begrüße die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr mit ihrem Wehrführer Mark Soetbeer sowie Pastorin Yasmine Glatthor von der Bodelschwingh-Kirche der Kirchengemeinde Preetz. Abgeschlossen wird die Zeremonie am Gedenkstein erneut von Hans-Jürgen Meyke mit dem auf der Trompete gespielten Lied „Ich hatt‘ einen Kameraden“.
Besonders begrüße ich heute den ehemaligen Kommandeur des Landeskommandos Schleswig-Holstein Oberst a.D. Hannes Wendroth. Er wird uns im Anschluss im Dorfgemeinschaftshaus darüber berichten, wie die Ereignisse im 2. Weltkrieg auch nach Jahrzehnten die Gedanken und die Herzen der Menschen treffen. Er und seine Mutter haben sich im Jahr 2018, also beinahe 75 Jahre nach Ende des Krieges, auf die Suche nach dem Grab seines Onkels begeben. Erst nach dieser langen Zeit konnte seine Mutter Gewissheit über den Verbleib ihres Bruders erlangen.
Natürlich lädt die Gemeinde im Gemeinschaftshaus auch wieder zu Kaffee, Punsch und Kuchen ein. Mein ausdrücklicher Dank gilt allen, die zur Vorbereitung und Ausgestaltung des heutigen Tages beigetragen haben.
Heute begehen wir den Volkstrauertag erstmalig an der neu gestalteten Erinnerungsstätte. Als zentrales Element wurde der Gedenkstein um 90 Grad zum Vorplatz der Feuerwehr gedreht. Gleichzeitig wurde ein Großteil des Bewuchses entfernt und Neuanpflanzungen vorgenommen. In ein paar Jahren soll durch die hintere Hecke ein Sicht- und Lärmschutz zur Straße gegeben sein. Diese Veränderungen an der Gedenkstätte zeigen, dass diese im Bewusstsein der Menschen verankert ist und dass es der Gemeinde und uns allen wichtig ist, einen angemessenen Platz für das Gedenken an unsere Toten zu haben. Dies nicht nur an dem heutigen Volkstrauertag. Über das ganze Jahr hinweg kann diese Stelle als Ort der Erinnerung an die Menschen dienen, die die Welt bereits verlassen haben. Ich bedanke mich im Namen der Gemeinde Pohnsdorf sehr herzlich, bei denen, die mit Ideen und Einsatz zu dieser Umgestaltung beigetragen haben.
Der heutige Tag ist der Trauer gewidmet. Wir gedenken all der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Wir trauern mit allen, die durch Kriege ihre Angehörigen, ihre Heimat und auch ihre Zukunftsperspektive verloren haben. Kriegerische Auseinandersetzungen hinterlassen dauerhaft schmerzliche Lücken in unzähligen Familien. Wir denken auch an jene Menschen, die mutig Widerstand geleistet und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben. Und an die Menschen, die jetzt und heute mit großem Mut immer noch für Freiheit, Frieden und auch für Demokratie und offene Gesellschaften einstehen und viel, sehr viel riskieren.
Dieser Tag soll gleichzeitig auch ein starkes Symbol für Frieden und Versöhnung sein. Er soll uns daran erinnern, dass wir alles für den Frieden in Europa und auf der Welt tun müssen, was in unserer Macht steht.
Wir fühlten uns für eine sehr lange Zeit sehr sicher. Das Szenario eines Krieges in unserer Nähe oder einer direkten Bedrohung war für viele kaum vorstellbar.
Doch spätestens am 24. Februar 2022 mit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und den Bildern der russischen Panzer, die in Richtung Kiew rollten, änderte sich das Bild. Es wurde deutlich, dass der Glaube an den dauerhaften Frieden ein Irrglaube war. Kriegshandlungen, Angriffe auf Städte und Dörfer bestimmen seit bald zwei Jahren das Leben der Menschen in der Ukraine. Abermillionen Menschen leben weiter in dem Kriegsgebiet, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, als Soldatin oder Soldat in der Armee zu kämpfen oder auch um die geliebte Heimat nicht verlassen zu müssen. Es gibt aber auch sehr viele, die ihre Heimat verlassen mussten. Es wird geschätzt, dass über 5 Millionen Menschen als Binnenflüchtlinge in der Ukraine geblieben sind und alleine in Deutschland sind etwa 1,1 Millionen Kriegsflüchtlinge registriert.
Jeden Tag gibt es neue Opfer in dem Krieg. Das Dorf Hrosa (Grosa) in der Region Charkiw hatte vor Kriegsbeginn rund 500 Einwohner und damit ein wenig mehr als unsere Gemeinde. In diesem Sommer lebten nur noch etwa 330 Einwohner – also fast 200 weniger als vor Beginn der russischen Großinvasion. Jetzt kennen wir fast alle den Namen des Dorfes. Die Kreuze auf den vielen frischen Gräber des kleinen Friedhofs am Rand von Hrosa haben alle das gleiche Todesdatum: den 5. Oktober 2023. An diesem Tag löschte eine russische Rakete mit tödlicher Präzision 59 Leben aus.
Die Menschen hatten sich auf dem Friedhof für eine Trauerfeier versammelt. An diesem Herbsttag sollte ein gefallener Soldat in seinen Heimatort umgebettet werden.
Alle hätten bei dem Angriff Angehörige verloren, erzählt eine Bewohnerin: "Mit nur einer Rakete haben sie das ganze Dorf beerdigt. In jedem Haus wird es nicht nur einen Sarg geben, sondern drei, vier oder fünf. Ich bin hier geboren und habe alle gekannt, alle, die getötet wurden.", so die Bewohnerin aus Hrosa.
Aber auch die Geschehnisse in Nahost lassen den Atem stocken. Tief eingebrannt in unser aller Gedächtnis wird der 7. Oktober sein – auf ewig. Der Tag, nach dem für die Menschen in Israel, für alle Jüdinnen und Juden nichts mehr ist wie zuvor. Der Tag, an dem Terroristen der Hamas Israel mit grenzenloser Brutalität überfielen, unschuldige Zivilisten ermordeten, wehrlose Opfer grausam massakrierten, Alte wie Kinder hinrichteten, mehr als zweihundert Menschen, darunter auch Kinder, verschleppten. Der Tag, an dem das Grauen in das Leben der Menschen in Israel einbrach. Die Angstschreie, die Verzweiflung, die Wut – welch unerträglicher Schmerz für die, die die Barbarei überlebten, Schmerz über die Toten, Schmerz über die Verletzten, Schmerz über die Verschleppten in ihrer Todesangst.
Dieses sind zwei aktuelle Kriege, für die wir eine besondere Wahrnehmung haben. Wir spüren die direkten Auswirkungen durch die Flüchtlingsbewegungen, durch die Unsicherheiten der Energieversorgung und die damit verbundenen massiven Preissteigerungen. Aber natürlich haben wir die Furcht, dass es zu einer Ausweitung kommen könnte und die Kriegshandlungen noch näher an uns herangetragen werden.
Der Volkstrauertag erinnert uns daran, dass Frieden und Freiheit keine Selbstverständlichkeit sind, sondern von uns allen geschützt und gepflegt werden müssen.
Kriege und Gewaltherrschaft sind die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte. Sie haben unermessliches Leid und Zerstörung über Generationen hinweg gebracht. Wir gedenken heute nicht nur der Soldaten, die auf den Schlachtfeldern ihr Leben verloren haben, sondern auch der Zivilisten, die unter den Auswirkungen von Kriegen und Gewaltherrschaft gelitten haben. Wir gedenken der Kinder, die ihre Eltern verloren haben, der Familien, die zerrissen wurden, und derjenigen, die in Konzentrationslagern, Gulags und anderen Orten des Schreckens gefangen waren oder ermordet wurden.
Dieser Tag erinnert uns auch daran, dass Frieden nicht nur das Fehlen von Kriegen ist, sondern auch ein aktiver Prozess des Dialogs, der Toleranz und der Versöhnung. Frieden erfordert, dass wir über unsere Unterschiede hinwegsehen und Brücken des Verständnisses bauen. Er erfordert, dass wir uns deutlich gegen Rassismus, Diskriminierung und Hass aussprechen, denn diese sind die Saat für Gewalt und Konflikte.
Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können die Zukunft gestalten. Wir können die Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit ziehen und uns für eine Welt des Friedens und der Gerechtigkeit einsetzen. Lasst uns gemeinsam daran arbeiten, dass die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft nicht umsonst gestorben sind. Lasst uns für eine Welt eintreten, in der die Würde und die Rechte jedes Menschen, unabhängig von seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft oder seiner religiösen und politischen Anschauungen geachtet werden.
Setzen wir uns aktiv für den Frieden und die Versöhnung in unserer Gesellschaft und in der Welt ein.
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